Blogumne 00034 – hä?4 min read

die “generation now” weiss nicht, dass sie schon morgen die “hä?”-generation sein wird. dieser satz von reto hunzeler’s artikel zum thema tinnitus (mein bester feind, das magazin nr. 30 29.7.2006) ist bei mir hängengeblieben. der heute gängige lifestyle mit iPods, handys die polyphone kingeltöne rausplärren, lauten parties an wochenende, lärm überall und immer, macht uns alle zu tinnitus gefährdeten. zum glück hat es mich persönlich bloss in einer relativ milden form erwischt, obschon ich als jahrelanger DJ, und die meiste zeit davon vor dem 120 db gesetz, zur gruppe der stark gefährdeten zählen muss. zeitenweise ist mein tinnitus schlimm, stunden- und, zum glück selten, tageweise. aber meist höre ich das permanente ohrenrauschen nur ganz schwach, meist sogar nur, wenn es draussen ausgesprochen ruhig ist – was bekannterweise selten der fall ist – oder wenn ich ohrenpfropfen trage.

das schlimmsten ohrensausen, dass ich je hatte, war nach dj spoooky. unglaublich was der für ein volumen geföhnt hat. dj spooky hat sich auf der bühne zuerst ganz vorsichtig seine sicherheits-ohrenpfropfen reingefummelt, seine strickmütze darüber gezogen, den kopfhörer daraufgesetzt, auf beide ohren! alles ganz langsam und irgendwie ritualmässig, dann ist er zum mischpult geschritten und hat als erstes vorne raus den gain um etwa eine halbe drehung und als nächstes den monitor um eine viertel drehung hochgeschraubt. ich stand dabei gleich neben ihm, und somit den monitoren, denn ich hatte vor ihm das warm-up set gespielt, und mich hat das volumen schier umgeblasen. ich muss so zusammen gezuckt sein, dass einige gelacht haben. danach hatte ich zwei tage lang intensives ohrensausen und dachte jetzt ist es um mich geschehen. meist hörte das ohrensausen nach parties so mitte des nächsten tages wieder auf. es ist auch diesmal wieder abgeklungen. bloss etwas später als normal. naja. noch mal glück gehabt.

franziska hat kürzlich gesagt, der hörsinn ist einer der intimsten sinne. ich hätte es nicht so ausgedrückt, aber sie bringt es damit völlig auf den punkt. geräusche kann man nur sehr schwer igorieren. sie dringen sehr nah an einen heran. und dies hat etwas intimes. mit den anderen sinnen ist es viel leichter sie zu ignorieren. unangenehmes für den tastsinn langt man in zukunft nicht mehr an. beim sehsinn kann man einfach wegschauen oder vor unangenehmen eindrücken die augen verschliessen. was dem geschmacksinn auf der zunge nicht passt spuckt man aus und spült sich danach den mund aus. auch unangenehme gerüche kann man mit diversen tricks von sich fern halten, nase zuklemmen, atem anhalten; letztere übung mache ich täglich, wenn ich mich an den stinken schuhen meiner nachbarin im treppenhaus vorbeikämpfe. auch bei bodenerschüttterungen sind, so glaube ich jedenfalls, nur leute sensibilisiert, die wie ich eine zeitlang in san francisco unter ständigem erdbeben alarm gelebt haben. ich spüre es jedenfalls immer, wenn die nachbarin unten über die schwebenden holzböden stampft, während gäste dies eigentlich nie wahrnehmen. doch der hörsinn lässt sich kaum abschalten, speziell wenn einem ohrpfropfen unangenehm sind, oder einen, wie erwähnt, den tinnitus wahrnehmen lassen. der hörsinn trifft einen somit auf die intimste, invasivste art und weise.

wenn der nachbar vom betreuten wohnheim sich auf der bank vor dem haus ab 5:30 morgens die seele aus dem körper rotzt – er würde wahrscheinlich sagen, sich die krebslein abtötet – und sich dabei marlboro an marlboro anzündet, dann kann ich jedenfalls nur sehr schlecht nicht hinhören. die geräusche seines spuckens und hustens hallen zwischen den häuserwänden hin und her und dringen tief in mich ein. da bleibt mir nur entweder aufstehen – und bloggen gehen – tra la la – oder auf dem sofa vorne raus ein kleines nickerchen machen. wer lärm nicht ignorieren kann, und ich gehöre leider zu dieser sorte menschen, und ihn auch nicht übertönen mag, weil man damit zum allgemeinen geräuschpegel bloss noch beiträgt, dem bleibt leider nichts anderes übrig als darunter zu leiden. und sich nach einem ruhigen örtchen zu sehnen.

in der heutigen welt wird ruhe zunehmend zum raren gut. eigentlich müsste ich es mir zum lebensziel machen, inseln der ruhe zu erschaffen, welche sich nicht nur saubonzen leisten können. dabei wäre eine viel globalere lösung ganz einfach, man müsste bloss die ruhebedürftigen von den lärmigen menschen fernhalten. es gäbe da sogar ein wirklich wunderbares modell. ich denke an den utopischen gesellschaftsentwurf bolo’bolo. soeben habe ich festgestellt, dass es dazu noch keinen wikipedia eintrag gibt, hmmm, eine gute zusammenfassung des buches von p.m. findet sich jedoch hier. in bezug auf ruhezonen besagt die utopie, dass sich in den häuser-gevierten unserer städte gemeinschaften nach den vorlieben ihrer bewohner formieren sollen. so gibt es häuserblöcke für leute die gerne ruhig leben, während andere für die party tiger reserviert sind. so versammeln sich die gleichgesinnten unter sich und stören einander nicht. let’s bolo’bolo.

den letzten gedanken zum thema möchte ich den armen coop mitarbeiterInnen widmen. sie müssen sich neuerdings den ganzen tag über die musikanlage von einem blätterrauschen berieseln lassen. jedenfalls bei coop bern ist es so. kein radio mehr, blätterrauschen. ich witzle jeweils mit der kassierin, sage ihr, es sei immerhin besser als ein meeresrauschen, denn in den wald könne sie ja am feierabend gehen, aber bis an’s meer wäre es ein bisschen weit. aber sie findet es nicht sooo lustig.

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