Blogumne – 00027 the future of art is fugly7 min read

letztes wochenende habe ich in milano die zukunft der kunst gesehen. und – leider muss ich hier mal wieder in die rolle des griesgrämigen propheten schlüpfen – die zukunft der kunst ist hässlich.

halt, stop, eigentlich ist meine aussage komplett falsch. nicht die kunst an sich ist natürlich hässlich. im gegenteil, die kunst, in diesem fall von tom sachs, ist grossartig, umwerfend, bewegend. und trotzdem gehört dieser ausstellungsbesuch sicherlich mit zum grässlichsten, was ich in zusammenhang mit kunst je erlebt habe. die ausstellung bestätigt für mich alle punkte, die ich als problematisch emfinde, wenn nun die privatwirtschaft vermehrt die aufgabe der kunst- und kulturförderung übernehmen soll.

aber am besten fangen wir ganz von vorne an. regine debatty hat es gebloggt, fondazione prada in milano zeigt die kunst von tom sachs (noch bis am 11.juni 2006). sofort rückt hier einiges an fragwürdigen beweggründen mit ins bild: tom sachs hatte 1998 mit “prada deathcamp” ein äusserst kontroverses kunstwerk kreiert, das modell von auschwitz auf einer aufgefalteten prada schuhschachtel montiert. später dann hat prada dem künstler gutwilling einen unlimitierten stock an prada schachteln zur verfügung gestellt, damit er das kunstwerk prada toilet vollenden konnte. und jetzt folgt die tom sachs ausstellung in der fondazione prada in milano? prada, internationaler hersteller von luxus markenprodukten, zeigt einen künstler, der vorher durch seine kunst deutliche kritik an der marke geäussert hatte? so etwas tönt schon an sich nach einem riesigen PR-stunt. zudem ist es eine sache, wenn immer mehr kunst und kultur von firmen gesponsort wird, aber nun fangen die firmen damit an die kunst gleich selber zu zeigen? ein trend der viele fragen aufwirft.

wir, f. und ich, machen uns also mit gemischten gefühlen auf den weg. bereits beim betreten des saales fühlt sich einiges irgendwie komisch an. aber eigentlich, auf den ersten blick, wirkt alles perfekt; fast zu perfekt vielleicht. die kunst ist brilliant, klar doch, der raum riesig und er hat diesen halbfertigen look; der verputz liegt offen, unbemalt, als ob die handwerker eben erst damit fertig geworden seien. ausser uns befindet sich genau ein anderer besucher im saal. wir sind somit deutlich überbetreut, denn am eingang sitzen drei und im ausstellungsraum stehen vier oder fünf uniformierte leute rum; und alle tragen sie – klar doch, richtig geraten – prada kleider. alle sehen sie ein bisschen daneben aus, irgendwie zu jung, zu hip auch, fast ein bisschen modellhaft, und irgendwie geklont wirken sie. prada halt.

tom sachs ist eine echte entdeckung für uns. seine kunst weist diese gefrickelte ästhetik auf, die wir beide momentan lieben. wie bei hirschhorn will man die kunstwerke berühren, mit ihnen spielen – was man natürlich nicht tut. der künstler bedient sich entprechend frei an gefundenen objekten, die spielerisch zerlegt, neu kombiniert und bemalt werden. die arbeiten wirken wie eben erst fertig gebastelt, so als ob der leim noch nicht ganz trocknen wäre.

beim eingang hängt ein schild, welches das photographieren untersagt. aber natürlich versuche ich trotzdem, diskret, ein paar photos zu erschleichen. ehrensache. ich finde es einfach zu unglaublich dumm, wenn kunst nicht photographiert werden darf. verstehen denn diese leute den viralen effekt nicht, den sie durch gebloggte photos gratis erhalten könnten? gleich bei meinem ersten photo stürzt eine prada-uniformierte frau auf mich zu. sie winkt energisch, “no photo”. naja, auch egal. die kamera, sprich mein handy, verschwindet wieder in der tasche.

tom sachs @ prada

beim ersten begehbaren kunstwerk “delinquency chamber” handelt es sich um eine installation in der GTA auf playstation läuft. seitlich in die wand ist ein mit schnaps, bier und wasser gefüllter kühlschrank eingelassen. innen an der türe hängt ein bong mit der instruktion “important! it is necessary to lock door before using bong”. kurz, das paradies eines jeden zockers. delinquent wie wir nun mal sind, entsteht hier ein zweites photo.

tom sachs @ prada

meine partnerin ist durstig und – man darf ja mal fragen – wendet sich an prada-uniform-frau # 1, ob man sich eine flasche wasser nehmen darf. “no”, mit energischer handbewegung. naja, auch egal. wir spielen ein bisschen GTA, der sound föhnt geil, dann gehen wir wieder raus. als wir uns bereits den riesigen weissen wal “balaenoptera musculus” ankucken, sehen wir wie prada-uniform-frau # 1 in die installation reingeht, um nach uns den kühlschrank zu kontrollieren. hmmmm.

weiter hinten im raum liegt “electrolux” auf dem boden. der alte staubsauger wurde von tom sachs umgebaut, und er ist jetzt ein bläser, jedenfalls steht blower drauf. der staubbläser ist weiss angestrichen und man sieht ihn von einem kilometer entfernt. als wir uns dem teil nähern, sprintet der übrigens einzige prada-uniformierte mann auf uns zu. ich drehe mich ihm fragend zu, erwarte eine erklärung oder eine performance, die zum electrolux gehört. er aber erklärt, auf italienisch, dass er dachte wir treten gleich drauf. hmmmx2. ich frage ihn, auf englisch, und bereits ein wenig irritiert, ob ich für ihn wie ein idiot aussehe, der auf kunst rumtrampelt? prada-uniform-mann tut so als ob er kein englisch spreche; aus seinem italienisch höre ich aber deutlich das wort “scemo”, was auf italienisch soviel heisst wie depp.

als nächstes betreten wir das spektakulärste kunstwerk der ausstellung, extra für diese angefertigt, “the island”. tom sachs hat die kommandozentrale des ersten atombetriebenen flugzeugträgers enterprise cvn 65 nachgebaut. detailiert. da gibts nebst technischem schnichschnack wie radar und tonnenweise bildschirmen auch zigaretten, alkohol und sogar eine toilette steht in der ecke. wir sind kaum zwei sekunden drin und bereits steht prada-uniform-frau # 2 mit uns im engen kabäuschen. sie stellt sich in eine ecke und starrt ins leere. ich suche ihren blick und frage sie, ob sie zum kunstwerk gehöre. sie verneint. wir werden nun also doppelt überwacht, denn im raum hängt eigentlich bereits eine überwachungskamera.

jetzt reichts. wir verlassen die ausstellung und dirigieren uns zum ausgang, dorthin wo drei prada-uniformierte am tisch rumlümmeln. ich beklage mich bei ihnen, dass die aggressive art, wie wir hier beim kunstbetrachten überwacht worden seien, mir die kunst verdorben habe. mit einem überheblichen lächeln drückt mir prada-uniform-frau # 3 den katalog in die hand. sie zeigt auf eine textstelle mit email-adresse, dorthin solle ich eine email schicken, um mich zu beklagen. unter lauter beschimpfung aller anwesenden verlasse ich das gebäude. öffentliches schimpfen gehört eigentlich nicht zu meinen lieblingsbeschäftigungen, man fühlt sich nachher immer saumässig. aber manchmal, und zum glück nur sehr selten, muss man sowas einfach loswerden.

noch nie habe ich mich beim kunstgenuss so überwacht gefühlt. gerade bei künstlern wie tom sachs geht so etwas einfach nicht. denn gerade bei solcher kunst, die bewusst mit imperfektion spielt, nervt ein photographie-verbot und zu starke kontrolle umso mehr. da kommen ja fast vandalen wünsche in einem hoch. und darum braucht es sie ja wohl, die museums-aufseher.

doch museums-aufseher sind nur dann gut, wenn sie im hintergrund verschwinden. bei prada hingegen wirkten die aufpasser wie ein teil der austellung, wie performer. eine virale modeschau im natürlichen setting einer kunstausstellung. genial, oder? das ganze fühlte sich an wie product placement (gibts dafür ein deutsches wort?), bei dem in jedem ausschnitt zumindest eine prada-uniform auftauchen musste. perfekt gestylt zwar, repräsentierten sie ihre marke auf herausragende weise, aber dazu waren sie sowas von überbeflissen und ignorant.

jetzt gibt es bloss ein problem, bei mir hatte all dies nämlich den gegenteiligen effekt. der rest von sympathie, den ich für die marke prada noch hätte haben können, ist nun vollends weg.

schade ist bloss, dass wir uns die wirklich hochspannenden arbeiten von tom sachs nicht in ruhe anschauen konnten. wenigstens hat fondazione prada auf ihrem website ein interaktives tool mit dem man sich die ausstellung virtuell anschauen kann – ohne einen prada-uniformierte, die einem den nacken runterschnauben.

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