Nathalie Wynn pours milk over Peterson

Der Eisen Hans scheisst auf deine 12 Regeln fürs Leben21 min read

[Ich habe ewig an diesem Text rumgefrickelt, seit Monaten, wollte ihn an sich für den Peterson-Auftritt in Zürich parat haben. Eigentlich bin ich immer noch nicht zufrieden damit, aber ich merke auch, dass ich nicht weiterkomme. Ich publiziere es nun mal so, viel zu lang, nicht präzise genug, einfach weil ich denke, dass dieser Bezug zur profeministischen Männerbewegung wichtig ist, und in letzter Zeit eher untergegangen ist, wie auch in der vagen Hoffnung, dass vielleicht jemand diese Fährte aufnehmen möge und die Zusammenhänge schärfer als ich herausarbeiten kann]

“I don’t know, if you watch the news, but apparently we’re gonna have to re-do the 60s again.”

Violet Gray

So California

Workshop Cassette

Wir sassen in der hintersten Reihe der nur mit Männern gefüllten Aula in einer Universität südlich von San Francisco. Zu fünft waren wir angereist. Nicht ohne Skepsis beobachtete ich das Geschehen. Mit Robert Bly, James Hillman und Michael Meade standen drei der bekanntesten Figuren der sogenannten mythopoetischen Männerbewegung auf der Bühne und hielten einen Workshop von zwei mal zwei Stunden, mit einem suspekten “social lunch” dazwischen. Sofort war mir aufgefallen, dass das Publikum aus fast ausschliesslich weissen, meist mittelalten Männern bestand (mit meinen 28 Jahren gehörte ich zu den Jüngsten im Saal).

In meinem anarcho-feministischen Freundeskreis in San Francisco waren die Meinungen zu dieser noch relativ jungen Männerbewegung gespalten. Auch ich hatte das kurz vorher erschienene Buch Iron John von Robert Bly bereits gelesen, hegte aber weiterhin gewisse Vorbehalte. James Hillman war mir als Autor ebenfalls bekannt, seine Bücher inspirierten mich in dieser Zeit, besonders The Dream and the Underworld, Suicide and the Soul oder die Puer Papers. Trotzdem kam mir die Sache eigenartig vor, was zum Teil in der Natur der Veranstaltung lag. Anlässe exklusiv für Männer gab es damals (wie heute) selten bis nie, so etwas kam höchstens mal im Sport oder im Militär vor, beides Bereiche, um die ich meinem Leben einen weiten Bogen geschlagen hatte. Noch dazu handelte es sich hier um einen Workshop für Männer, die sich mit ihrem Mannsein befassen wollten, also eindeutig ein Experimentierfeld.

Die Reagan Jahre hatten der Linken in den USA arg zugesetzt. Doch in San Francisco, in meinem direkten, sozialen Umfeld, bestand der Alltag aus radikaler, progressiver Politik, und zwar in einer so konsequent gelebten Form, wie sie mir seither nie mehr begegnet ist. Der anarchistische Grundgedanke sollte dabei gelebte Praxis werden. In vielleicht individualanarchistischer Auslegung waren wir zur Überzeugung gelangt, dass die Revolution bei uns selber beginnen musste. Autor*innen wie Starhawk, Hakim Bey, p.m. u.a. bestätigten uns in diesem Denken. Themen wie Geschlechterrollen oder Homosexualität hatten wir in unseren Diskussionsrunden schon öfter aufgenommen. Die Gleichheit der Geschlechter sollte gelebte Praxis werden, und so war es eigentlich nur normal, dass wir uns als Männer auch mit unserem Mannsein befassen wollten.

Der Zeitgeist war zudem geprägt vom Denken der französischen Poststrukturalisten wie Baudrillard und Derrida. In unserem Alltag, spezifisch in der künstlerischen Praxis meiner Freunde, äusserte sich dies als eine Öffnung gegenüber eklektischen Einflüssen aller Art. Wild vermischt wurden verschiedenste kulturelle Ideen und Traditionen. Neben den üblichen anarchistischen Protestformen, den Landbesetzungen, den Demos, dem zivilen Ungehorsam oder den verpönten Konsensdiskussionen, kombinierten wir im Alltag kollektive Wohnsituationen mit veganer Ernährung mit Ökoaktivismus mit urbanen Gemüsegärten mit Yoga mit Contact Improvisation mit Hexenritualen mit … you name it really. Es war eine Zeit der Experimente und Versuche. Vielleicht lässt sich dies am besten als eine Gegenreaktion auf die nihilistische Jahre des Punks der frühen 80er einordnen. Im Laufe der 80er war uns bewusst geworden, dass sich in der sich weitgehend androgyn, egalitär definierenden Punkbewegung ebenfalls sexistische Muster eingeschliffen hatten. Vielleicht konnten uns ein paar alternde Hippies weiterhelfen?

Pro-Feministisch, ist doch logisch, Mann

Hillman Meade Bly

Bereits 1990 war sein Buch Iron John: A Book For Men erschienen. 1991 dann sassen wir im Saal, während vorne auf der Bühne dessen Autor Robert Bly stand, mit seinen wild abstehenden, halblangen, weissen Haaren und dem bunten, selbst gestrickten Pullover, der fast schon prototypischer alt-68er, ein Dichter, ein Progressiver, dessen grosse Leidenschaft die mystische Dichtung aller Kulturen war. Neben ihm James Hillman, etwas klassischer angezogen, gross gewachsen und schlank, mit seiner eindrücklichen Adlernase, der als analytischer Psychologe (u.a. am C.G. Jung Institut in Zürich ausgebildet) mit der archetypischen Psychologie versucht hatte, eine moderne Auslegung des Denkens von C.G. Jung zu entwickeln. Der dritte im Bunde, Michael Meade, knapp zwanzig Jahre jünger als die anderen Männer, die beide bereits damals über 60 Jahre alt waren, von untersetzter Statur, ein Geschichtenerzähler und Autor, mit dem Conga zwischen den Knien würde er im Laufe des Workshops, die eher abstrakten Schilderungen von Bly und Hillman auflockern mit Erzählungen, Märchen und Mythen aus verschiedensten Teilen der Welt.

Doch das Wichtigste zuerst, mehrmals betonten die drei Männer auf der Bühne, dass die “Männerbewegung” sich auf gar keinen Fall gegen die Frauen richten dürfe. Und überhaupt, es handle sich nicht mal um eine Bewegung. Bly fand dazu die deutlichsten Worte und wiederholte mehrere Male, dass er selber Feminist sei, “who in their right mind wouldn’t be one?”. Anhand von Gedichten und Märchen und Mythen versuchten sie gemäss der jungianischen Methode zu analysieren, was es bedeuten mag, als Mann in der heutigen, westlichen, postfeministischen Gesellschaft zu leben. Der Workshop, im Plauderton abgehalten, mit viel Witz und mit der typisch amerikanischen Lockerheit vorgetragen, zog mir trotz anfänglicher Vorbehalte den Ärmel rein. Bis heute denke ich gerne daran zurück. Er wurde für mich eine prägende Erfahrung.

Geht Jung überhaupt?

Allerdings habe ich mir kürzlich eine Aufnahme eines Workshops von damals angehört, vielleicht handelte es sich sogar um genau den selben Workshop, den ich damals besucht habe, und dabei wurde es mir dann doch eher peinlich. Vom heutigen Standpunkt aus gesehen, ist es mir fast unerklärlich, wie mich eine solch eigenartige, heute esoterisch anmutende Mischung je hätte ansprechen können. Denn der Kontext hat sich inzwischen deutlich geändert, der Feminismus sich weiterentwickelt. Damals aber fühlte es sich irgendwie erfrischend an, sogar emanzipatorisch, fast so als hätten Männer hier den Auftrag des Feminismus angenommen, um zu versuchen neue Austauschformen zu finden, in komplementärer Solidarität zu den Frauen, in unterstützender Emanzipation unter Männern.

Bereits auf einer grundsätzlichen Ebene müssen erste Fragen auftauchen. Hier wird dieser Artikel leider etwas dürftig, dazu bin ich nicht wirklich qualifiziert. Eine Theorie, die sich so stark auf C.G. Jung und Joseph Campbell beruft, die mit ihren Setzungen bereits einiges an feministischer Kritik auf sich gezogen hatten, muss sich solche Fragen gefallen lassen. Doch Bly, Hillman, Meade wichen entsprechenden Fragen nie aus. Sie schienen bemüht, Jung/Campell auf eine zeitgemässe, eine progressive Art und Weise umzudeuten. Jungs Konzepte der Individuation oder des Animus/Anima waren auch ihnen ein Gräuel. Dafür konzentrierten sie sich auf die vielleicht sinnvolleren Aspekte von Jungs Denken, wie den Schatten, das kollektive Unbewusste und vor allem auf die Archetypen, denen wir bekanntlich nicht nur in Märchen und Mythen, sondern auch in der neuzeitlichen Literatur und in Filmen immer wieder begegnen.

Während einer der Pausen wagte ich mich auf die Bühne um Hillman eine Frage zu stellen, eigentlich war es eine Art Test: “Mir ist ebenfalls sehr wichtig, dass diese Männerthematik sich nicht gegen die Frauen richtet. Das ist gut so. Aber wir haben in unserem Freundeskreis von ein paar Frauen kritische Äusserungen zur Männerbewegung erhalten. Wie sollen wir mit diesen umgehen?” Hillman winkte ab. Dies sei doch gar keine Bewegung – und es brauche übrigens auch gar keine neue Bewegung. Dann empfahl er mir diesen Widerspruch sogar einzuladen, denn genau darum gehe es doch hier. “Hash it out, that type of conflict is part and parcel of the work, this is the much needed discourse. If you want, organise a powpow, where everyone can lay their objections out on the table”.

Wir treffen uns auf neutralem Terrain

Zusammengefasst hatte ich trotz dem teilweise zwielichtigen Ruf dieser “Bewegung”, die also gar keine sein wollte, eigentlich nur Aussagen gehört, die den Feminismus affirmiert haben, und dies sogar recht explizit. Klar vertraten die drei älteren Herren (wohl auch dem Zeitgeist entsprechend), ein relativ klassisches, sogar essentialistisches Bild von Geschlecht, cis, binär, und pflegten vielleicht sogar ein etwas zu biologistisches Verständnis. An unseren anarchistischen Kongressen in Toronto und San Francisco hatten wir bereits deutlich fortschrittlichere Positionen diskutiert. Aber in meiner Einschätzung definierte sich die mythopoetische Männerbewegung anfangs der 90er Jahre als ein ergänzender Ansatz zu den feministischen Bestrebungen. Die Aufforderung zur Emanzipation wurde ernstgenommen. Das Ziel war die Gleichheit der Geschlechter und nicht eine Rückkehr zu früheren patriarchalischen Rollenverständnissen. Zumindest von diesen drei Vertretern dieser Denkrichtung, gab es keinerlei Rhetorik zu hören, die den Feminismus in irgendeiner Art zurückbinden wollte.

Zum Schluss des Workshops erzählte Michael Meade von einer afrikanischen Stammesgemeinschaft, bei der einmal jährlich alle Männer gemeinsam das Dorf verlassen, während die Frauen mit den Kinder zurückbleiben. Die Männer ziehen sich an einen geheimen Platz etwas ausserhalb zurück und feiern drei Tage und drei Nächte durch, vollziehen diverse Rituale. Zurück im Dorf feiern auch die Frauen ein riesiges Fest. Nach den drei Tagen treffen sich die Frauen und die Männer ausserhalb des Dorfes an einem neutralen Ort wieder und es gibt ein gemeinsames Festessen. Meade ergänzte die Erzählung damit, eigentlich müssten auch mal die Frauen aus dem Dorf rausgehen dürfen und die Männer mit den Kindern zurückbleiben. Und trotzdem sei dies das Bild, welches ihnen hier vorschwebe, Frauen wie auch Männer, die sich untereinander austauschen, sich gegenseitig emotional unterstützen, um sich dann auf Augenhöhe wieder zu begegnen.


Der Lobster Edgelord

Auftritt Bühne rechts: Jordan Peterson. Fast dreissig Jahre später macht wieder ein Analytischer Psychologe (nach Jung) von sich zu reden, der sich mehrheitlich an “die Männer” richtet (was er bereits bestreiten würde – wie eigentlich alles was man über ihn sagt, mehr dazu gleich). Mit Bly, Hillman oder Meade kann er allerdings kaum verglichen werden, denn Peterson ist eigentlich nur in seiner Nutzung von Social Media, Patreon und Youtube in der Neuzeit angekommen. Die jeweilige politische Ausrichtung könnte in fundamentalen Punkten unterschiedlicher nicht sein. Während Hillman und Bly versucht hatten Jung (für die 80er/90er Jahre!) neu zu denken, wirken Petersons Setzungen so reaktionär und intellektuell rigide, dass sich möglicherweise sogar der längst verstorbene Vordenker in Küsnacht in seinem Grab umdrehen würde.

Peterson verrennt sich immer wieder in endlosen Tiraden gegen “den Feminismus”, gegen “die Politische Korrektheit”, gegen “den Postmodernismus” oder gegen “identity politics”. Dabei waren gerade fixierte und pauschalisierende Aussagen bei C.G. Jung eher die Ausnahme, denn Jungs Denken erzürnt eher durch die alles relativierende Herangehensweise, leider auch zu politisch heiklen Themen. Wenn Peterson von dem Femininen spricht, meint auch er das weibliche Prinzip, nicht die Frauen per se, wie dies bereits von Jung so definiert worden war, und lässt mit dieser Unterscheidung nicht wenige Kritiker*innen in’s Messer laufen, die seine Aussagen zu wörtlich auslegen. Trotzdem kommt man bei Peterson nicht umhin zu vermuten, dass ein grundsätzlich patriarchalisches Weltbild seinem Denken zu Grunde liegt. Während sich Bly/Hillman bei Jung bedienten, um den Sexismus zu bekämpfen, um die Emanzipation sowie die Gleichstellung von Mann und Frau voranzutreiben, scheint Peterson sich nach einer Zeit lange vor dem neuzeitlichen, feministischen Diskursen zurückzusehnen, wer weiss, vielleicht nach den 30er Jahren (zumindest suggeriert dies auch sein Kleidungsstil)? Möglicherweise wäre Peterson gerne ein Zeitgenosse seines Übervaters C.G. Jung gewesen, damals war die (Gender-)Welt noch in Ordnung (selbst wenn sich die Frage aufdrängt, war sie dies wirklich?).

Peterson, und dies scheint bei ihm durchaus bewusste Taktik zu sein, bleibt schwer zu fassen, nicht wie ein schlüpfriger Fisch, sondern eher wie ein leicht verfaulter Hummer. Doch Witz beiseite, bereits der oft zitierte Hummervergleich erläutert, auf welch unpräzise und unkritische Peterson argumentiert. Wer wie Peterson die ozeanischen Müllverwerter (die aus ihrem Gesicht urinieren) bemüht, um auf die genetische Richtigkeit von Hierarchien unter männlichen Wesen zu verweisen, der muss neben einem fast unsäglichem Hang zur Anthropomorphisierung auch einem biologistischen Weltbild verfallen sein. Soweit die Vermutung. Doch genau hier liegt das Problem mit Jordan. Wir wissen es leider nicht so genau. Denn Peterson drückt sich nur in vagen Andeutungen aus, er beherrscht eigentlich nur einen rhetorischen Trick: die Insinuation. Seine Behauptungen bleiben dadurch nie ganz fassbar, enthalten immer strategische Hintertürchen. Eigentlich legt er sprachliche Fallen aus, und wenn Kritiker*innen reintappen, arbeitet er sich genüsslich daran ab. Der von Peterson am häufigsten geäusserte Satz in jedem Interview muss “I did not say that” sein. Widerspruch ist bei ihm eine fast schon zwanghafte Pflicht, selbst wenn er sich dadurch inhaltlich selber widersprechen sollte.

Peterson wehrt sich jeweils vehement gegen den Vorwurf der sogenannten Alt-right zuzugehören. Und doch enthalten seine Aussagen des öfteren Hundepfeifen (dog whistles), mit denen er den Mob seiner Anhängerschaft anstiftet, sich auf die Gegner “der Sache” zu stürzen. Etwa wenn er sich wie neulich im GQ Britain Interview für Free Speech ausspricht und dabei Count Dankula erwähnt (der seinem Hund beigebracht auf den Befehl “Gas the jews” mit dem Hitlergruss zu salutieren), oder wenn er sich bei Milo Yiannopulos entschuldigt ihn als Rassisten bezeichnet zu haben oder wenn er sich am oft antisemitisch besetzten Strohmann par excellence abarbeitet, dem “kulturellen Marxismus”, den er zwar als postmodernen Neomarxismus bezeichnet. Gerade diese, übrigens inhaltlich äusserst ungenaue, Kritik am Postmodernismus (siehe Haider), der politischen Korrektheit, den “identity politics” enthalten Elemente, mit denen er auf relativ unverhohlene Weise sein alt-right Publikum anspricht. Es handelt sich hier um das gleiche Spielchen, welches auch andere Vertreter des sogenannten “intellectual dark web” perfektioniert haben. An anderer Stelle wurde diese Methode als incitement trolling bezeichnet. Öffentliche Personen nutzen ihre Reichweite, um provokative Aussagen in den Raum zu stellen, die dann von ihrer Anhängerschaft aufgenommen und ausgeschlachtet werden (Das Paradebeispiel dieser Methode: T®ump).

Fairerweise muss hier angefügt werden, dass Peterson seine Fans ein ungerades Mal auch zurückpfeift, so geschehen nach dem Channel 4 Interview mit Cathy Newman. Aber meist tut er dies nicht, etwa nach seinen Drohungen via Twitter gegen Pankaj Mishra, nach dessen kritischen Artikel in der nybooks review.

Rip him a new one

Viele brillante, kritische Artikel sind über Peterson geschrieben worden. Speziell empfehlen möchte ich neben den bereits erwähnten Mishra und Haider, auch Penny und Robinson, sowie das Video von Wynn, die alle Peterson als den Schaumschläger entblössen, der er eigentlich ist. Gerne hätte ich hier etwas genauer untersucht, auf welche Art und Weise Peterson Jung auslegt. Auch die Frage, ob die Jungianische Methode bereits auf einer grundsätzlichen Ebene nicht kompatibel ist mit einem emanzipatorischen, progressiven, gleichberechtigten Weltbild, hätte ich gerne beantworten können. Doch weder bin ich Psychologe, noch habe ich mich in letzter Zeit ausführlich mit Jung befasst. Eine zeitlang hat mich Jungs Denken fasziniert (und vor allem zur sogenannten archetypischen Psychologie nach Hillman habe ich wie gesagt einige Bücher gelesen), weil es mir eine Verknüpfung von psychologischem, politischem und spirituellem Gedankengut zu ermöglichen schien. Mit der Zeit habe ich mich davon jedoch entfernt, und sehe mich heute nicht in der Lage diese Fragen vertieft zu analysieren. Es bleibt mir zu wünschen, dass vielleicht ein Artikel mit genau diesem Schwerpunkt erscheinen möge.

Natürlich gibt es bei Jung grundsätzliche Prämissen, die auch für mich als Laien fragwürdig sind. Bereits die Praxis Mythen und Märchen psychologisch auszulegen birgt mindestens ein fundamentales Problem: die aus der Vergangenheit übernommenen Geschichten beruhen oft bereits auf patriarchalischen und/oder biologistischen Setzungen, gemäss den vorherrschenden Machtverhältnissen der Zeit aus der sie stammen. So entspringen beispielsweise die Könige/Königinnen und Prinzen/Prinzessinnen der Märchen einer aristokratischen Weltordnung, und obschon Jungianer sofort widersprechen würden, es gehe hier nicht um reale Königinnen/Prinzen, sondern um deren Archetypen, bleibt die Referenz hierarchisch geprägt und somit reaktionär – speziell falls diese Setzungen unkritisch übernommen werden.

Doch möglicherweise wäre auch zu Mythen ein kritischer Zugang möglich. Denn wie Steineck neulich argumentiert hat, hängt den Mythen zwar oft ein reaktionärer Ruf an, und so ist es auch nicht erstaunlich, dass gerade die Rechten sich oft und gerne an ihnen bedienen. Steineck plädiert dann aber dafür, dass auch Linke eine kritische Auseinandersetzung mit den Mythen betreiben, um sich so “auf das Spiel des Mythos einzulassen”.

Eigentlich bloss billige Selbsthilfeleitfäden

Cheap books

Und somit komme ich zu meiner eigentlichen Frage, die mich in Bezug auf den kanadischen Psychologen einigermassen gequält hat: War die mythopoetische Männerbewegung der 80er/90er eventuell gar ein prägender Vorläufer oder zumindest ein Wegbereiter, der den fulminanten und beängstigenden Aufstieg und Erfolg eines reaktionären Scharlatans wie Peterson begünstigt hat? Reflexartig würde ich dies verneinen, und doch sind einige Parallelen nicht von der Hand zu weisen.

Wenn wir Petersons 12 Rules for Life mit Blys Iron John vergleichen, dann nutzen beide Autoren Märchen und Mythen, beide bedienen sich dabei der Methode nach Jung und beide Bücher richten sich (mehr oder weniger explizit) an Männer. Damit hat es sich aber schon mit den Gemeinsamkeiten, denn in der jeweiligen politischen Ausrichtung, gewissermassen dem Überbau, bleiben kaum Entsprechungen übrig.

Aus heutiger Sicht lässt sich bestimmt vieles kritisieren an der mythopoetischen Männerbewegung. Dank Butler und anderen Denker*innen sind wir heute in den Geschlechtsstudien sehr viel weiter gekommen, hierzu bloss ein paar Stichworte: Anti-Essentialismus, Genderfluidität, Intersektionalität. So gesehen lassen sich heute nur noch wenige relevante Erkenntnisse direkt von der myhopoetischen Denkern übernehmen. Und trotzdem, so hoffe ich, zeigt der Vergleich zwischen Bly und Peterson auf, dass die politischen Haltungen und Werte, die hinter ihren jeweiligen Auslegungen liegen, einen fundamentalen Unterschied ausmachen können. Der jeweilige politisch-philosophische Überbau würzt die Suppe.

Während Bly tendenziell einen poetischen, spielerischen und durchaus sozialkritischen Umgang mit Mythen und Märchen pflegte, basierend auf den humanistischen und progressiven Werten der alt-68er, wirkt der Zugang bei Petersen deterministisch, gefüttert von seinem reaktionären Weltbild, in dem Geschlechterrollen sehr klassisch ausgelegt werden. Doch auch Blys Ansatz darf nicht unkritisch betrachtet werden. Vieles war kitschig damals am Workshop, auch sein Buch (Iron John) lässt sich aus heutiger Sicht kaum noch lesen. Wir würden heute, zu recht, kulturelle Aneignungen anprangern, oder die determinierten Tendenzen bei den Geschlechterbildern. Ein Kollege von damals hat mir auf Anfrage neulich geschrieben, Bly hätte niemals ein Buch darüber schreiben sollen, denn die wichtige Arbeit, seine Intervention gegen das bürgerlich, weisse Männerbild – welches Emotionen unterdrückt, Männern befiehlt sich durchzubeissen um zu funktionieren – fand abseits der Scheinwerferlichter statt.

Einer der gewichtigen Vorwürfe aus feministischer Sicht an die Adresse der mythopoetischen Männerbewegung war bereits damals gewesen, dass die Bewegung sich politisch und aktivistisch zu wenig klar positioniert habe, und sich stattdessen zu sehr auf den therapeutischen Prozess konzentrierte, die Selbsterfahrung. Und während dies zwar stimmt, Bly et al. stellten kaum klare Forderungen in Bezug auf etwa Männergewalt, Alimentszahlungen oder andere typische Männerthemen, so war dies durchaus eine bewusste Wahl. Ein nachvollziehbarer Grund dafür war, dass dies in Abgrenzung gegenüber den schon damals misogynen und antifeministischen Männerrechtlern geschah, die diese Themen bereits unter ihre Fittiche genommen hatten.

Denn eine politische Haltung äusserte sich bei Bly et al. sehr wohl. Nebst der Solidarität mit dem Feminismus äusserte sich diese auch in der Toleranz und Offenheit der “Bewegung”. Transmänner wurden von Anfang an willkommen geheissen, Sexismus und Homophobie aktiv bekämpft, sowohl in sprachlicher Hinsicht, wie als kommunizierte Haltung. Später wurde viel unternommen, um auch nicht-weisse Communities anzusprechen. Wie es mein Kollege beschrieben hat, “vielen Männern ist erst in diesen Workshops klar geworden, dass die westliche Gesellschaftsordnung eine Todesfalle für Männer ist und dass ein Grossteil unserer Gewalt gegen Frauen, Queers und andere Männer PRODUZIERT wird durch eine Gesellschaft, die es Männern nicht erlaubt zu fühlen, ihre Körper zu erleben, die Natur zu lieben, kreativ zu werden, sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam zu weinen”.

Das tönt für mich durchaus politisch.

Bei Peterson liegt der Fall gerade umgekehrt. Er und seine Anhänger äussern sehr viele politische, hier reaktionär-konservative Forderungen – was Peterson abstreiten wird, aber so ist er halt, der alte Widersprechheini. Peterson vertritt klassische Forderungen der antifeministischen Männerrechtler, wenn er sich gegen die Rechte der Transsexuellen, gegen Sprachregelungen, gegen safe spaces, gegen den Feminismus positioniert. Er prangert eine imaginierte Unterwanderung der Universitäten durch den Strohmann par excellence an, den postmodernen “Neomarxismus”. Und Peterson relativiert Männergewalt.

Primär muss es also weiterhin darum gehen eine öffentliche Figur wie Peterson zu demontieren, seine reaktionären Überzeugungen herauszuarbeiten und sie blosszustellen und ganz allgemein seine Figur lächerlich zu machen. Sein Versteck- und Verwirrspiel gehört gnadenlos aufgezeigt, denn wenn er mit verdeckten Karten spielt, dann ist dies taktisch, und es geht ihm darum bei der Mitte andocken zu können.

Aber ein Problem bleibt auch bei der besten Kritik erhalten. Offensichtlich besteht bei jungen Männern ein Bedürfnis nach öffentlichen Denkern (als Intellektuellen kann ich ihn schlicht nicht bezeichnen) wie Peterson. Schon Bly/Hillman/Meade haben vor fast 30 Jahren mit einer teilweise vergleichbaren Methode bei Männern Zuspruch gefunden. Die alles überragende Erkenntnis bleibt, Männer sprechen offenbar an auf diesen Mix aus Märchen, Mythen und Psychologie, den sowohl Bly wie Peterson in ihren Büchern und bei ihren Auftritten zelebrieren. Die entsprechenden Bücher wurden zu best sellers.


Barthes bleibt skeptisch

Roland Barthes

Ich habe versucht aufzuzeigen, dass sowohl der Ansatz von Bly et al. wie derjenige von Peterson substantielle Mängel aufweisen. Doch wie ich zu erläutern versucht habe, spielt das jeweils dahinter liegende politische oder philosophische Weltbild die entscheidende Rolle. Wenn Psychologen sich spezifisch an Männer richten, dann treten riesige Unterschiede auf, ob die politische Überzeugung dahinter wertkonservative, antifeministische oder aber progressive, pro-feministische Motive verfolgt. So gesehen, wäre es vielleicht an der Zeit eine pro-feministische Psychologie für Männer zu entwickeln, die auch die Erkenntnisse der vierten Welle des Feminismus mit einbeziehen kann. Denn für mich bleibt die Frage bestehen, ob wir dieses Terrain ohne Kampf den Rechten überlassen dürfen.

Roland Barthes hat in seinem Buch Mythen des Alltags ausführlich aufgezeigt, wie sich der Umgang mit Mythen zwischen Linken und Rechten unterscheidet, sogar unterscheiden muss. Grob gesagt, während ein Zugang von rechter Seite her ohne kritische Hinterfragung möglich ist, weil, so Barthes, eine der zentralen Funktionen der Mythen einem wichtigen rechten Ziel entspreche, nämlich der Depolitisierung der Sprache, wodurch eine Erhaltung des Status Quo begünstigt werde, sei ein linker Zugang zu Mythen eigentlich kontraintuitiv, wenn nicht gar unmöglich, wie Barthes eigentlich mit sehr marxistischem Ansatz argumentiert. Wenn, dann kann ein linker Zugang nur dank sozialkritischer Einordnung gelingen, überhaupt sinnvoll sein, wie Steineck argumentiert.

In der heutigen Zeit mögen sich die Fronten leicht verschoben haben. Heute bäumt sich ein Rechter wie Peterson in pseudokritischer Pose gegen eine imaginierte linke Hegemonie auf, nutzt dazu Mythen, die wiederum seine wertkonservativen Haltungen bestätigen. Peterson inszeniert sich als Rebell, jedoch nur in Pose, denn eigentlich ist er gar keiner, eigentlich geht es um die Erhaltung der Machtverhältnisse. Ein Teil der Verwirrung, die von Peterson ausgeht, mag so erklärbar sein.

Ich für meinen Teil wünsche mir hingegen einen neuzeitlichen, sozialkritischen, feministischen und antipatriarchalen Leitfaden für junge Männer. Wer schreibt ihn? Und bitte recht bald, ja!?

“Nun ist die beste Waffe gegen den Mythos vielleicht die, ihn selbst zu mythifizieren, das heißt, einen künstlichen Mythos zu schaffen; und dieser neu geschaffene Mythos wäre in der Tat eine Mythologie. Da der Mythos Sprache stiehlt, warum nicht den Mythos stehlen?”

Roland Barthes (Mythen des Alltags)


Further reading: Dear Lobsters: There is a better way

Previously on this blog: Peterson Deconstructed [mostly on Haiders great article, with some additional links]

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